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Karin Seyffarth hat seit ihrem 17. Lebensjahr Typ-1-Diabetes und nun zwei Töchter im Alter von fünf und acht Jahren. Für sie sind die beiden Superheldinnen: sie interessieren sich sehr für Mamas Erkrankung, sind auch in jungen Jahren schon tolle Unterstützerinnen. Beide wurden in der Freder1k-Studie auf ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes getestet und haben anschließend an der POInT-Studie teilgenommen. Im Interview erklärt Karin, warum ihr die Forschung dabei hilft, etwas gelassener in die Zukunft ihrer Töchter zu blicken.
Wenn Kinder ins Leben treten, verändert sich vieles. Nicht nur der Zucker während der Schwangerschaft, sondern auch die Sorge, ob ich eine genetische Veranlagung für Typ-1-Diabetes vererbt haben könnte. Als ich 2015 meine erste Tochter bekam, startete gerade die Pre POInT early Studie zur Erprobung einer möglichen oralen Impfung mit Insulin für Babys ab der ersten Breigabe. Dazu gehörte auch, dass vorab ein genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes bei den teilnehmenden Kindern bestimmt wird. Für mich war schnell klar, dass das eine kleine aber wohl die einzige Möglichkeit war, einerseits das Diabetesrisiko meines Kindes zu bestimmen und zudem eine mögliche Impfung zu erhalten, die wohl erst in Jahren oder sogar Jahrzehnten auf dem Markt verfügbar sein wird. Der einzige Nachteil: Das Reisen zu den Terminen und die Blutentnahmen.
Der Test ergab leider die Veranlagung und mir wurde die Teilnahme an der POInT Studie angeboten. Ich hatte zwar zunächst noch etwas Bedenken wegen der Blutentnahmen, aber die Möglichkeit, den Diabetes durch die Studienbehandlung eventuell verhindern zu können, überwiegte ganz klar. Ich nahm das Angebot also an. Um den Stress während der Visiten für meine Tochter gering zu halten, bekam sie für die Blutentnahmen immer ein Betäubungspflaster.
Als meine zweite Tochter 2018 zur Welt kam, wurde ich bereits vorab informiert, dass nun die POInT Studie zur Untersuchung einer oralen Impfung gegen Typ-1-Diabetes startete. Wir haben sie daher ebenfalls im Rahmen der Freder1k Studie auf ein erhöhtes genetisches Risiko testen lassen. Auch sie hat ein erhöhtes Risiko, an Typ-1-Diabetes zu erkranken, und wir nahmen mit ihr ab der ersten Breigabe an der POInT Studie teil. Mittlerweile braucht sie auch kein Betäubungspflaster mehr für die Blutabnahme, sondern schaut entspannt zu. Die Ärztinnen und wir Eltern sind jedes Mal aufs Neue überrascht von ihrer Gelassenheit. Dank der Blutuntersuchungen konnten wir zudem einen massiven Vitamin D3 Mangel feststellen und behandeln.
Der Diabetes gehört zu unserem Leben und Alltag. Oft sahen sie mich einen Apfel essen, wenn der Zucker mal wieder niedrig war. Irgendwann nahm ich zwei und später drei Äpfel mit, da sie auch einen wollten. Mit zwei Jahren keimte das Interesse an den “Piksen”, die sich Mama immer in die Finger gab. Meine älteste Tochter fragte mich, ob sie das auch mal machen kann - bei mir aber auch sich selbst. Natürlich ließ ich sie machen – einerseits, weil ich ihren Zucker prüfen wollte, andererseits, weil ich es toll finde, wie neugierig sie ist, wie viel Anteil sie an meiner Krankheit nimmt und versucht, mich zu unterstützen. Auch die Insulinpumpe, deren Funktionen, das Befüllen und Wechsel von Zugängen und der Ampulle ist aufregend. Das machen wir manchmal sogar zusammen. Mittlerweile werde ich auch von meinen Kindern ermahnt, wenn die Zuckerapp vom „Zuckerhandy“ wieder piept, weil der Zucker zu niedrig ist.
Kinder sind wertungsfrei und sehen Krankheiten als interessantes Thema, keine Schwäche oder fürchterliche Einschränkung. Das lässt auch mich die Krankheit aus einem anderen Blickwinkel sehen. Ich gehe viel offener mit der Krankheit um, biete mich auch für Schüler und Schülerinnen als „lebendes Beispiel“ für Vorträge an und bin als Patientenbeirätin für die Diabetesforschung engagiert.
Ja, tatsächlich verstehen die beiden schon richtig viel. Die jüngere der beiden erklärte kürzlich beim Abholen in der Kita einer Freundin, was dieser Sensor an meinem Arm bedeutet: „Meine Mama hat so einen Diabetes. Das bedeutet zuckerkrank. Der Sensor da im Arm guckt, wieviel Zucker Mama im Körper hat. Das kann der Körper nicht mehr allein“. Ich bin wahnsinnig stolz darauf, wie ein fünfjähriges Kind schon so eine komplexe Krankheit erklären kann. Ich selbst geriet öfter in Erklärungsnot, wenn mich Kinder fragten, was das Plastikding da in meinem Arm ist. Aber mittlerweile habe ich mir ein paar Sachen bei meiner kleinen Heldin abgeschaut und nutze ihre Erklärung – ergänzt um ein paar Erwachsenenfakten.
Ich habe ja selbst erlebt, was passiert, wenn man über die Erkrankung einfach gar nicht Bescheid weiß und denkt: Typ-1-Diabetes betrifft mich nicht. Darum ist es mir wichtig, Leute über diese Erkrankung aufzuklären und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Typ-1-Diabetes jeden treffen kann. Es ist nun mal die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Und da finde ich es eigentlich ganz schön verrückt, dass in meinem Umfeld niemand von der Erkrankung wusste.
Natürlich möchte kein Elternteil, dass sein Kind eine unheilbare Krankheit bekommt. Auch mir geht es so. Aber ich weiß, dass ich es nicht verhindern kann – außer, wenn meine Töchter in den Studien wirklich Insulinpulver bekommen haben und die Immunisierung funktioniert hat. Durch die Teilnahme an der POInT Studie habe ich die verfügbaren Möglichkeiten zur Verhinderung von Typ-1 Diabetes genutzt. Ich gehe offen mit der Krankheit um, die nebenbei auch unsere Ernährung gesünder und ausgewogener macht. Sollten meine Mädels in der POInT Studie in der Placebo-Gruppe gewesen sein und doch einen Typ-1 Diabetes entwickeln, haben sie bereits in jungen Jahren viel Wissen gesammelt. Sie würden sich also gut zurechtfinden und das beruhigt ein wenig. Sie können mit ihrem Wissen auch Freund*innen und Mitschüler*innen helfen, die selbst Diabetes haben. Mir als Typ-1-Diabetikerin zeigen meine kleinen Heldinnen jeden Tag, wie wichtig es ist, über Diabetes – speziell über Typ-1-Diabetes – zu reden und zu informieren. Ich gebe für meine Heldinnen jeden Tag mein Bestes, um mit guten Werten mindestens 100 Jahre alt zu werden.
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Die fünf Vertreter und Vertrerinnen des Patient*innen Rates für Diabetesforschung des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung. Karin Seyffarth ist mittig abgebildet.
2021 gründete sich der erste Patientenbeirat für die Diabetesforschung des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Durch meine Studienteilnahme wurde ich als Vertreterin für Typ-1-Diabetes eingeladen. Ich habe das Amt gerne angenommen und wurde auch zur Sprecherin gewählt. Der Beirat besteht aus fünf Menschen, die selbst von unterschiedlichen Diabetestypen betroffen sind – entweder direkt oder als Angehörige. Außerdem ist eine nicht betroffene Person dabei. Damit bildet der Beirat einen guten Querschnitt mit unterschiedlichen Sichtweisen und Bedarfen. Wir treffen uns seit November 2021 viermal im Jahr, um die Bürger*innen- und Patient*innensicht in translationale Forschungsstrategien und -projekte einzubringen. Also in Forschungsprojekte, die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische Praxis bringen sollen. Dadurch erhalten wir auch spannende Einblicke in die Forschungsfelder und -zentren. Leider ist Deutschland noch ganz am Anfang, was die Einbindung der Patient*innen- und Bürger*innenperspektive in die Forschung betrifft. In den USA werden Patientenbeiräte seit über 20 Jahren eingebunden und auch bei Forschungsgeldern bedacht. In Deutschland haben wir hier noch einen langen Weg vor uns. Aber der Wille, uns einzubringen und die Zukunft zu verbessern, treibt uns alle an.
Zum Vertiefen
© Institut für Diabetesforschung – Helmholtz Munich 2023